Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich aktuell gleich zweimal mit der Verjährung von Urlaubsansprüchen befasst. Wann Ansprüche von ­Arbeitnehmern verjähren, hängt nach den Entscheidungen des BAG maßgeblich vom Hinweis- und Aufforderungsverhalten des Arbeitgebers ab.

Nach der Regelung des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) erlischt der für das laufende Kalenderjahr bestehende Urlaubsanspruch grundsätzlich ersatzlos, wenn er nicht bis zum Ende des jeweiligen Kalenderjahres oder bei einer Urlaubsübertragung ins Folgejahr nicht bis zum 31. März des Folgejahres gewährt und genommen wurde.
Diese Regelung gilt allerdings nur noch eingeschränkt, da das Recht auf bezahlten Jahresurlaub in der Grundrechtscharta der Europäischen Union (GRCh), Art. 31 Abs. 2 GRCh, und in Art. 7 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) verbürgt ist. Entsprechend können urlaubsrechtliche Fragen nicht allein nach nationalem Recht betrachtet werden.


URTEIL DES EUROPÄISCHEN GERICHTSHOFS VON 2018
Der EuGH (Urt. v. 6.11.2018 – C-684/16) hat bereits 2018 die Voraussetzungen für ein Erlöschen des Urlaubsanspruchs deutlich verschärft: Ein Urlaubsanspruch könne nur erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe. Hierfür müsse der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmer individuell und in jedem Kalenderjahr auf die ihm zustehenden Urlaubsansprüche hinweisen und ihn auffordern, den Urlaub zu beanspruchen. Dem folgend hat das BAG entschieden (Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15), dass ein Urlaubsanspruch nur nach den Vorgaben des BUrlG erlöschen könne, wenn der Arbeitgeber diese Hinweis- und Aufklärungspflichten, die als Obliegenheit eines Arbeitgebers qualifiziert wurden, erfüllt habe.


BAG, URTEIL VOM 20. DEZEMBER 2022 – 9 AZR 266/20
In diesem Verfahren ging es um eine Arbeitnehmerin, die nach Beendigung ihres geltenden Arbeitsverhältnisses, das von November 1996 bis Ende Juli 2017 bestand, insgesamt 101 Urlaubstage aus der gesamten Laufzeit ihres Arbeitsverhältnisses geltend machte. Während erstinstanzlich die eingereichte Klage abgewiesen wurde, sprach das Landesarbeitsgericht (LAG) der Klägerin im Berufungsverfahren 17.376,64 Euro brutto zur Abgeltung von 76 Arbeitstagen zu. Gegen diese Entscheidung legte der Arbeitgeber Revision zum BAG ein.
Das BAG entschied, dass Urlaubsansprüche grundsätzlich nach den allgemeinen Verjährungsregeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verjähren können, die dreijährige Verjährungsfrist bei richtlinienkonformer Auslegung jedoch erst am Ende des Kalenderjahres beginne, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe. Habe der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, könne der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen noch nach § 195 BGB verjähren und sei bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG – auch aus Vorjahren – abzugelten.


BAG, URTEIL VOM 31. JANUAR 2023 – 9 AZR 456/20
Mit Blick auf vorgenannte Entscheidungen konkretisierte das BAG Anfang 2023 den Verjährungsbeginn von Urlaubsansprüchen dahingehend, dass die dreijährige Verjährungsfrist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor der EuGH-Entscheidung von November 2018 (Urt. v. 6.11.2018 – C-684/16) nicht vor dem Ende des Jahres 2018 beginne.
Das BAG sprach dem Kläger die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 37.416,50 Euro zu. Vom Kläger habe bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19. Oktober 2015 nicht erwartet werden können, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzusetzen. Bis zur maßgeblichen EuGH-Entscheidung im November 2018 verfielen Urlaubsansprüche nach den Regelungen des BUrlG unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch. Erst nach der EuGH-Entscheidung sei der Kläger gehalten gewesen, eine Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.

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