Unwirksamkeit überlanger Kündigungsfrist

Eine approbierte Ärztin war in der Weiterbildung zur Fachärztin. Der Arbeitsvertrag mit einem MVZ, der zum Zweck der Weiterbildung abgeschlossen wurde, sah vor, dass die Ärztin das Arbeitsverhältnis erst nach 42 Monaten ordentlich kündigen darf. Diese überlange Kündigungsfrist hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 10. Mai 2021 (Az. 1 Sa 12/21) als unangemessene Benachteiligung und deshalb als unwirksam angesehen.

Die Parteien stritten über die Zahlung von Arbeitsentgelt in Höhe eines Bruttomonatsgehalts sowie wiederklagend über eine etwaig entgegenstehende Forderung auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von drei Monatsgehältern. Die klagende Ärztin begann 2016 eine Weiterbildung zur Fachärztin für Derma­tologie und Venerologie, wobei das Arbeitsverhältnis 2017 auf das beklagte Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) überging. In dem Arbeitsvertrag der Klägerin wurde die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung insgesamt 42 Monate ab Beginn des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen.
Weiter stand in dem Arbeitsvertrag, dass sofern die Arbeitnehmerin das Dienstverhältnis vertragswidrig nach Ablauf der Probezeit (fünf Monate) löse, diese eine Vertragsstrafe in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen zu be­­zahlen habe.
2018 teilte die klagende Ärztin dem MVZ mit, dass sie ihr Arbeitsverhältnis fristgerecht kündige. Dies begründete sie damit, dass wegen familiärer Um­­stände ein Wohnortwechsel zu ihrem Ehemann zwingend notwendig werde. Das beklagte MVZ verweigerte daraufhin die Zahlung des Entgelts für die nach der Kündigung geleistete Arbeit der Klägerin und teilte ihr mit, dass eine Vertragslaufzeit bis Mitte 2019 vereinbart worden sei und eine vorherige Auflösung des Arbeitsverhältnisses daher nicht akzeptiert werde. Zudem wies das MVZ darauf hin, dass die Klägerin für den Fall, dass sie das Arbeitsverhältnis vertragswidrig vorzeitig beende, eine Vertragsstrafe in Höhe eines dreifachen Bruttomonatsgehalts zu zahlen habe.
VORINSTANZ
Mit Urteil vom 7. Februar 2019 verurteilte das Arbeitsgericht das MVZ zur Zahlung des Gehalts an die Klägerin. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die vorgesehene Vertragsstrafe die Klägerin unangemessen benachteiligt. Zwar sei die Klausel transparent, auch führe die Formulierung hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung nicht zu einer vollständigen Unwirksamkeit der Klausel. Die Abrede führe jedoch zu einer Übersicherung der Beklagten.
UNANGEMESSENE BENACHTEILIGUNG
Das LAG wies die Berufung zurück und schloss sich dem Ergebnis der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts an. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung bis zum Ende des 42. Monats des Arbeits­verhältnisses sei als allgemeine Geschäftsbedingung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil dieser die Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Bei der Würdigung der typischen Interessenlage der Parteien kam es zu dem Ergebnis, dass die familiären Verhältnisse der Ärztin nach Art. 6 Abs. 1 GG zu sehr beeinträchtigt und die berufliche Bewegungsfreiheit zu sehr eingeschränkt würde.
Die Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB mit deutlich kürzeren Bindungszeiten stelle das Ergebnis einer Abwägung zwischen den grundrechtlichen Positionen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 GG dar. Einerseits soll der Arbeitnehmer vor einem plötzlichen Arbeitsplatzverlust geschützt werden, andererseits soll das Interesse des Arbeitgebers an einer möglichst großen Flexibilität angemessen berücksichtigt werden.

VORTEIL WIRD RELATIVIERT
Für die weiterzubildende Ärztin stelle der zeitweise Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit in einem gewissen Umfang zwar einen Vorteil dar, weil sie davon ausgehen könne, die Weiterbildung nach Ablauf der Probezeit bis zum Ende des 42. Monats des Arbeitsverhältnisses bei dem ausgewählten Weiterbildungsträger absolvieren zu können.
Dieser Vorteil werde allerdings dadurch relativiert, dass die Ärztin in dem Fall, dass sie nach Ablauf der Probezeit die Weiterbildung als nicht mehr zufriedenstellend sieht, darin gehindert ist, den Weiterbildungsträger zu wechseln, falls er nicht eine Vertragsstrafe in empfindlicher Höhe zahlt. Zudem sei die Ärztin durch die Vertragsklausel auch in ihren familiären Verhältnissen erheblich be­­einträchtigt, da sie auf etwaige Änderungen der privaten Umstände nur stark eingeschränkt reagieren könne. Die dargestellten Belange würden es im Spannungsfeld der wechselseitigen grundrechtlichen Positionen nicht rechtfertigen, der weiterzubildenden Ärztin eine ordentlichen Kündigungsmöglichkeit zu verwehren.

RA Michael Lennartz
www.lennmed.de

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