Numerus clausus. Mit seinem vielbeachteten Urteil vom 19.12.2017 hat das Bundesverfassungsgericht mit zwei Richtervorlagen entschieden, dass bundes- und landesgesetzliche Vorschriften über die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar sind (1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14).

Bei den sogenannten Richtervorlagen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen ging es primär um die Frage, ob die für die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin im Hochschulrahmengesetz (HRG) und in den Vorschriften der Länder vorgesehenen Regelungen zum Numerus clausus mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Bisher werden die verfügbaren Plätze für zulassungsbeschränkte Studiengänge nach Quoten verteilt (unter anderem 20 Prozent Abiturbestenquote, 20 Prozent Wartezeitquote). Die übrigen Plätze werden in einem eigenständigen Auswahlverfahren der Hochschulen vergeben. Die Dauer der Wartezeit für einen Studienplatz in der Wartezeitquote beträgt nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichtes mittlerweile 15 Semester.

Zur Begründung der Richtervorlage gab das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen unter anderem an: Der Verzicht auf sogenannte Landesquoten verletze angesichts der fehlenden bundesländerübergreifenden Vergleichbarkeit der Abiturnoten das Teilhaberecht der Studienplatzbewerber, das sich aus der Berufsfreiheit und dem allgemeinen Gleichheitssatz herleitete. Zudem verstoße die Wartezeitquote gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sich die Wartezeit nach der Dauer der vergangenen Wartezeit bemesse. Zudem trete die Abiturnote in den Hintergrund, womit trotz des Hinzutretens weiterer Auswahlkriterien eine sehr große Gruppe potenzieller Bewerber faktisch von vornherein von jeglicher Zulassungschance ausgeschlossen sei.

Die Entscheidung

In seinem Urteil setzt sich das Bundesverfassungsgericht intensiv und kritisch mit dem NC-System bei zulassungsbeschränkten Studiengängen auseinander und kommt in seinen Leitsätzen unter anderem zu folgenden differenzierten Ergebnissen:

Regeln für die Verteilung knapper Studienplätze hätten sich grundsätzlich am Kriterium der Eignung zu orientieren. Daneben berücksichtige der Gesetzgeber Gemeinwohlbelange und trage dem Sozialstaatsprinzip Rechnung. Die zur Vergabe knapper Studienplätze herangezogenen Kriterien müssten die Vielfalt der möglichen Anknüpfungspunkte zur Erfassung der Eignung abbilden.

Der Gesetzgeber müsse insbesondere die Auswahlkriterien selbst festlegen. Er dürfe den Hochschulen allerdings gewisse Spielräume für die Konkretisierung dieser Auswahlkriterien einräumen.

Die Abiturbestenquote sei verfassungsrechtlich nicht bedenklich. Die maßgebliche Orientierung der Vergabeentscheidung an den Ortswunschangaben sowie die Beschränkung der Bewerbung auf sechs Studienorte lasse sich bei der Abiturbestenquote verfassungsrechtlich jedoch nicht rechtfertigen.

Die Einrichtung einer Wartezeitquote sei verfassungsrechtlich zulässig, wenngleich nicht geboten. Die Wartezeit müsse in der Dauer begrenzt sein.

Verfassungswidrigkeit zahlreicher Regelungen

Im Übrigen erklärt das Bundesverfassungsgericht das bisherige System der Studienplatzvergabe in zulassungsbeschränkten Studiengängen insofern für verfassungswidrig, als ...

der Gesetzgeber den Hochschulen ein eigenes Kriterienerfindungsrecht überlasse, die Standardisierung und Strukturierung hochschuleigener Eignungsprüfungen nicht sichergestellt sei, die Hochschulen neben eignungsbezogenen gesetzlichen Kriterien uneingeschränkt auch auf das Kriterium eines frei zu bestimmenden Ranges der Ortspräferenz zurückgreifen dürften, im Auswahlverfahren der Hochschulen die Abiturnoten berücksichtigt werden könnten, ohne einen Ausgleichsmechanismus für deren nur eingeschränkte länderübergreifende Vergleichbarkeit vorzusehen, für einen hinreichenden Teil der Studienplätze neben der Abiturdurchschnittsnote keine weiteren Auswahlkriterien mit erheblichem Gewicht Berücksichtigung fänden.

Konsequenzen des Urteils

Im Kern erteilt das Bundesverfassungsgericht dem bisherigen Studienplatzvergabesystem eine klare Absage, wobei auf den Gesetzgeber viel Arbeit zur zügigen Neugestaltung des Systems zukommen wird.

Im Wesentlichen belässt es das Bundesverfassungsgericht bei der bloßen Feststellung der Unvereinbarkeit der beanstandeten Vorschriften mit dem Grundgesetz. Zugleich wird aber deren begrenzte Fortgeltung angeordnet und den zuständigen Landesgesetzgebern aufgegeben, bis zum 31.12.2019 eine Neuregelung zu treffen, wenn und soweit der Bundgesetzgeber bis dahin nicht von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat.

 

RA Michael Lennartz,

lennmed.de

Zurück