Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

Selbstständige Abrechnungsspezialisten – Risiko Sozialversicherungspflicht?

Im Abrechnungsbereich werden keine originär zahnärztlichen Leistungen delegiert, wobei der Einsatz von externen Dienstleistern bei ausdrücklicher Einwilligung des Patienten grundsätzlich möglich ist. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Einsatz des freiberuflichen Abrechnungsmitarbeiters nicht doch – auch unter dem Gesichtspunkt der Scheinselbstständigkeit – im Einzelfall als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist.

Neben der Frage der Scheinselbstständigkeit stellt sich die Frage, ob derartige Rechtsverhältnisse nicht im Einzelfall zu einer Sozialversicherungspflicht führen. Dies hatte Anfang des Jahres das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 29.01.2016 (L 1 KR 118/14) zu entscheiden.

Der Fall

In dem konkreten Fall beschäftigte eine zahnärztliche Berufsausübungsgemeinschaft ohne schriftlichen Vertrag eine zertifizierte zahnmedizinische Verwaltungshelferin. Mündlich wurde vereinbart, dass die externe Abrechnungsspezialistin nach jeweils individueller Terminvereinbarung Abrechnungsleistungen in der Praxis erbringen sollte. Abgerechnet wurde stundenweise mit einem Stundensatz von 32 Euro. Die externe Mitarbeiterin stellte im Mai 2011 einen Antrag auf Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status.

Ergebnis des Statusfeststellungsverfahrens war, dass die Abrechnungstätigkeit der externen Abrechnungsspezialistin in der Praxis als abhängiges Beschäftigungsverhältnis qualifiziert wurde und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung festgestellt wurde. Die Begründung dafür: Die Tätigkeit werde am Betriebssitz des Auftraggebers ausgeübt, und die benötigten Arbeitsmittel würden von diesem zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich der Arbeitszeiten ergäben sich Einschränkungen der selbstständigen Tätigkeit aufgrund festgelegter Praxiszeiten. Der Einsatz eigener Arbeitsmittel sei nicht erforderlich. Es werde eine erfolgsunabhängige Stundenvergütung gezahlt, und ein Unternehmerrisiko sei nach Aktenlage nicht erkennbar. Für eine selbstständige Tätigkeit spräche lediglich, dass keine regelmäßigen Arbeitszeiten vereinbart seien und die Möglichkeit bestünde, bei Verhinderung eine Ersatzkraft zu stellen.

Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl die externe Abrechnungsspezialistin als auch die Berufsausübungsgemeinschaft Widerspruch.

Klage vor Berliner Sozialgericht

Der Widerspruch wurde nicht zugelassen, weshalb die Berufsausübungsgemeinschaft Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhob. Zur Begründung führte sie unter anderem an, dass die erbrachte Leistung grundsätzlich geeignet sei, auch selbstständig von einem freien Mitarbeiter erbracht zu werden. Arztpraxen würden sich häufig spezieller Dienstleister bedienen. Die beigeladene Abrechnungsspezialistin habe ihre Arbeitszeit frei bestimmen können. So schwankten die Beträge der eingereichten Rechnungen zwischen 1,25 und 33,25 Stunden pro Monat. Zudem wurde argumentiert, dass die Abrechnungsspezialistin in der Zeit von 2009 bis 2011 ihre Tätigkeiten für mindestens fünf weitere Zahnarztpraxen ausgeübt habe. Mit Urteil vom 21.03.2014 verneinte das SG Berlin eine Sozialversicherungspflicht für die Abrechnungsspezialistin, da nach dem Gesamteindruck die Merkmale überwögen, die gegen eine abhängige Beschäftigung sprächen.

Die Entscheidung

Gegen dieses Urteil wurde Berufung eingelegt – und das LSG Berlin-Brandenburg bejahte eine Sozialversicherungspflicht der freien Mitarbeiterin. Anhaltspunkte für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung seien eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Abzugrenzen sei die eine Versicherungspflicht begründende abhängige Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes liege eine Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht werde. Dieses Merkmal sei bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und mit seiner Tätigkeit einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung erfassenden Weisungsrecht unterliege.

Indizien für Selbstständigkeit

Dagegen sei eine selbstständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit vorliege, richte sich danach, welche der genannten Merkmale bei Betrachtung des Gesamtbildes der Verhältnisse überwiegen.

Abrechnung nach Stunden

Nach Ansicht des SG Berlin sei zwar davon auszugehen, dass die Parteien eine Beschäftigung auf freier Basis vereinbaren wollten, stellte das LSG fest. Allerdings sei bereits die Vereinbarung von Dienstleistungen und nicht von Werkleistungen und deren Abrechnung nach Stunden und nicht nach den Werken (zum Beispiel nach erstellten Abrechnungen) ein Indiz für eine vertragliche Bindung auf Basis abhängiger Beschäftigung. Nach der Vereinbarung sollte die Arbeit in den Räumen der Praxis unter Verwendung des dortigen Equipments (insbesondere PC) erfolgen. In der praktischen Umsetzung der mündlichen Vereinbarung habe sich die Tätigkeit der Abrechnungsspezialistin als in den Praxisbetrieb integriert dargestellt. Die Beigeladene habe in der Praxis und unter Verwendung der dortigen Hard- und Software gearbeitet. Sie habe die Rechnungen, Mahnungen und Abrechnungen nicht wie eine privatärztliche Abrechnungsstelle in eigenem Namen erstellt und sei im Außenverhältnis nicht in Erscheinung getreten. Die Revision wurde in dem Fall nicht zugelassen.

Fazit

Die Entscheidung zeigt überdeutlich, dass es bei der Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und Arbeitnehmerstatus auf sehr viele Punkte ankommt. Dringend zu empfehlen ist, dass man derartige Vertragsverhältnisse rechtlich auf ihre Durchführbarkeit prüft (zum Beispiel Einhaltung der Verschwiegenheitsverpflichtung). Unbedingt empfehlenswert ist zudem, dass die Abreden schriftlich getroffen werden.

RA Michael Lennartz
www.lennmed.de

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