Macht ein europäischer Gesundheitsausschuss Sinn?

 

Eine Frage der Qualität. Aktuell wird in Brüssel darüber geredet, dass das europäische Parlament über
einen „richtigen“ Gesundheitsausschuss verfügen könnte. Zumindest äußerte sich dazu laut „Tagesspiegel
Background“ der langjährige EU-Parlamentarier Bernd Lange (SPD). Auch der Abgeordnete Andreas Glück
(FDP) bestätigte das. Aber macht solch ein Ausschuss überhaupt Sinn? Sind die Gesundheitssysteme der EU
nicht zu unterschiedlich?

AUTORIN: DR. JEANNINE BONAVENTURA

 

Ein EU-Gesundheitsausschuss wäre ein Novum. Bislang ist das Ressort Gesundheit ein Teil des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (Committee on the Enviroment, Public Health and Food Safety, ENVI). Im Bereich öffentliche Gesundheit befasst er sich unter anderem mit kosmetischen und pharmazeutischen
Produkten sowie der gesundheitlichen Vorsorge gegen Bioterrorismus und pflegt Beziehungen zur Europäischen Arzneimittelagentur. Um den gestiegenen Stellenwert der Gesundheitsthemen abzubilden, fordert etwa der Bundesverband Medizintechnologie einen Gesundheitsausschuss auf europäischer Ebene. Der BVMed möchte Verbesserungen der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) und fordert unter anderem die Abschaffung der fünjährigen Re-Zertifizierungspficht, die Einführung eines Fast-Track-Verfahrens für innovative Produkte, Sonderregelungen für seltene Nischenprodukte und eine grundsätzliche Steigerung der Effzienz, der Transparenz und der Berechenbarkeit des MDR-Systems.
Wie die Meinung in Brüssel ist, weiß der EU-Parlamentarier Andreas Glück (FDP): „Die Frage ist fast unstrittig, dass man einen Gesundheitsausschuss will. Allerdings hängt da sehr viel dran. Es kommt darauf an, wie dann die Zuschnitte der anderen Ausschüsse sind. Wenn man einen eigenen Gesundheitsausschuss schafft, dann ändern sich auch die Zuständigkeiten anderer Ausschüsse.“

 

 

 

Bisher ist jedes EU-Land für sich verantwortlich


Grundlage der europäischen Gesundheitspolitik ist derzeit gemäß Artikel 168 § 7 AEUV die alleinige Verantwortung der Mitgliedstaaten. Das bedeutet, die Staaten legen ihre Gesundheitspolitik fest, inklusive Verwaltung der Gesundheitssysteme sowie die medizinische Versorgung, einschließlich der Finanzierung der Leistungen und der Leistungsumfang. Die Verantwortung der Mitgliedsstaaten umfasst somit sowohl die Verwaltung als auch die Finanzierung der Gesundheitssysteme. Im Zentrum der deutschen Gesundheitspolitik
stehen die Patientinnen und Patienten. Die Qualität ihrer medizinischen und pflegerischen Versorgung ist der Maßstab für die Organisation des Gesundheitswesens. Alle wünschen sich ein langes, gesundes Leben, und alle wollen und sollten deshalb von einem rasanten medizinischen Fortschritt und den technischen Möglichkeiten, die die Digitalisierung eröffnet, profitieren. Aber dazu muss das deutsche Gesundheitssystem finanzierbar bleiben.


Förderung der Gesundheit in der gesamten EU


Bei der Einrichtung eines europäischen Ausschusses für Gesundheit bliebe abzuwarten, inwieweit die EU in die eigenständigen Gesundheitssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten eingreifen könnte. Die Europäische Union hat sich im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) dazu verpflichtet, ein hohes Gesundheitsniveau sicherzustellen. Zurzeit unterstützt die EU die öffentliche Gesundheit, indem sie Finanzmittel breitstellt und Vorschriften erlässt, die zum Beispiel der Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren dienen. Doch oft ist es so: Wer bezahlt, möchte auch bestimmen. Wichtiges Instrument zur Verbesserung der Gesundheit der Menschen in der EU ist das Aktionsprogramm EU4Health.
Es wurde als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie ins Leben gerufen. Die Krisenvorsorge soll gestärkt werden. EU4Health ebnet den Weg zu einer Europäischen Gesundheitsunion, die sich verstärkt den europäischen Gesundheitsthemen zuwendet. EU4Health ergänzt die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Gesundheit der Menschen in der Europäischen Union und dient der Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus in allen Politikbereichen und Maßnahmen der Europäischen Union. EU4Health hat eine Laufzeit von sieben Jahren mit einem Gesamtfördervolumen von rund 5,3 Milliarden Euro. Die

Ziele sind:

  • Verbesserung und Förderung der Gesundheit in der Union
  • Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren
  • Umsetzung der Arzneimittelstrategie für Europa
  • Stärkung der Resilienz der nationalen Gesundheitssysteme

Auch andere Maßnahmen wie zum Beispiel die Digitalisierung und die Erhöhung der Impfquoten werden gefördert.

Sonderstatus Deutschland in Sachen Zahnmedizin

Was würde ein europäischer Gesundheitsausschuss für die deutsche Zahnmedizin bedeuten? Fakt ist: Deutschland ist Vorreiter in Sachen Mundgesundheit. Deutschland hat die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben bei zahnmedizinischen Leistungen. Dies liegt sicherlich auch an der umfassenden Abdeckung von zahnärztlichen Leistungen. Beispielsweise werden in Griechenland keinerlei Kosten beim Zahnarzt von einer gesetzlichen Versicherung gedeckt, somit fallen Privatausgaben von 100 Prozent für zahnärztliche Leistungen an. Dieser Privatanteil beträgt in Deutschland durchschnittlich gerade mal 25 Prozent. Damit ist die Bundesrepublik im europäischen Vergleich bei privaten (Zu-) Zahlungen beim Zahnarzt Schlusslicht. Laut OECD Health Statistic 2019 liegt der europäische Durchschnitt bei 62 Prozent. Zahnbehandlungen in Ost- und Südeuropa sind hingegen bis zu 70 Prozent
günstiger als in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Gründe dafür sind zum Beispiel niedrigere Kosten für Lohn, Praxisausstattung und Labor. Jedes EU-Mitglied hat diverse Unterschiede über alle Bereiche der zahnmedizinischen Versorgung – auch im Vergleich zu Deutschland. Laut Euro-Z-II-Studie des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) hat die
Preisgestaltung zahnärztlicher Leistungen einen Einfluss auf die zahnärztliche Versorgung, auf die Leistungsmöglichkeiten der Praxen, auf die Kosten der Versorgung und auf die Patientennachfrage. Hohe Versorgungsqualität hat ihren Preis. Aktuell gibt es keine Studien zur Behandlungsqualität im Ausland. Für Patienten ist es auf jeden Fall schwierig, die Behandlungsqualität von ausländischen zahnärztlichen Behandlungen zu beurteilen.


Keine Qualitätsverluste riskieren

Das Beispiel Zahnmedizin macht deutlich: Die Gesundheitsinstitutionen der EU-Mitgliedstaaten sind sehr unterschiedlich gestaltet und untereinander kaum vergleichbar. Die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten für ihre Gesundheitssysteme muss gewahrt bleiben und die Kompetenzen, sie eigenverantwortlich zu gestalten, darf nicht eingeschränkt werden. Die Pluralität dieser in vielen Fällen historisch gewachsenen Gesundheitssysteme muss gewahrt werden. Es ist zu befürchten, dass die Vorreiterrolle Deutschlands durch Kompromisse, die dann für alle Staaten gelten, hierzulande zu Qualitätsverlusten führen.