70 Jahre FVDZ
Historie. Die Zahnärzteschaft ist 70 Jahre nach der Gründung des Freien Verbandes wieder an einem Punkt, der 1955 ähnelt: Es gibt Protestaktionen im ganzen Land – gegen unzureichende Honorierung damals, gegen strikte Budgetierung heute. War es damals der Kampf gegen eine Beschränkung der Kassenzulassungen, ist es heute der Kampf gegen eine fehlende Reglementierung von investorengetragenen MVZ.
Meilensteine für die Freiberuflichkeit – 1955 bis 1965
Not macht nicht nur erfinderisch, Not schafft auch Einigkeit. Und die Zahnärzteschaft war in den 1950er-Jahren tatsächlich in Nöten, wenngleich sie (zunächst einmal) nicht besonders einig war. Die Situation der Zahnärzte war haarsträubend: Von einem guten Verdienst und rechtlicher oder beruflicher Sicherheit war der Berufsstand damals weit entfernt. Die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen) verteilten eine kleine Pauschalsumme, und 22.000 Zahnärzte teilten sich damals den kleinen Kuchen. Weitere 8.000 warteten darauf, auch noch einen Krümel abzubekommen. Eine Kassenzulassung war begehrt, da sie immerhin ein kleines Einkommen sicherte. Ein Klima von Einigkeit, Solidarität oder gar Kollegialität konnte damit allerdings nicht geschaffen werden: Fast einem Drittel der Zahnärzte wurde die Kassenzulassung verwehrt, und die Gebührenordnung erlaubte weder eine angemessene Behandlung der Patienten noch eine adäquate Honorierung der Kassenzahnärzte. Von Berufs- und Therapiefreiheit waren die Zahnärzte damals Lichtjahre entfernt, und die Zulassungsbeschränkungen zum Beruf wurden auch noch zementiert.
Zahnärzteschaft formiert Widerstand
Es war diese verzweifelte Lage, die die Zahnärzte zum Handeln trieb. Protestveranstaltungen folgten, die Opposition formierte sich. Im bayerischen Deggendorf rief Dr. Franz Schreiber zur „Urabstimmung“ auf, um den „zahnärztlichen Standesvertretern im Kampf um die freie Zukunft der Zahnärzteschaft eine standfeste Verhandlungsbasis gegenüber dem Gesetzgeber und den Kassenverbänden zu geben“. Die Resonanz war überwältigend: 20.000 Zahnärzte sprachen sich unter anderem für ein neues Kassenarztrecht zur Gewährleistung der Behandlungsfreiheit, Mitbestimmung in der Selbstverwaltung und Einzelleistungsvergütung aus. Bestärkt durch dieses deutliche Votum, gründeten die engagierten Zahnärzte der ersten Stunde im Februar 1955 die „Notgemeinschaft Deutscher Zahnärzte“ (NDZ), aus der zwei Jahre später der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) hervorging. In einem Aufruf an die Kollegenschaft ging es „um die Entscheidung, ob wir ein freier Beruf bleiben oder zum Erfüllungsgehilfen des Staatskapitalismus degradiert werden“. Die Kritik traf vor allem die damalige Standesführung, die nach Ansicht der sich bildenden Opposition selbstherrlich über Wohl und Wehe regierte. Diese Haltung führender Standesvertreter führte beinahe zur offenen Revolte. Sogar ein Zahnärztestreik wurde als Möglichkeit erwogen. Es gab Forderungen wie „Weg mit den KZVen“ und „Weg mit dem Krankenschein“.
Stunde des besonnen Reformers
Doch nicht Revolution, sondern Reformation des Systems waren das Gebot der Stunde. Es waren die besonnenen Stimmen, besonders die von Dr. Wolfgang Mzyk, die sich durchsetzten. Nicht die Abschaffung der KZVen und einen Ausstieg aus der sozialen Krankenversicherung hielt er für geboten, sondern die Mitarbeit innerhalb der KZVen, um dort für eine Demokratisierung der Verhältnisse zu sorgen. Die Notgemeinschaft Deutscher Zahnärzte verfolgte zu dieser Zeit vor allem drei Ziele: Die zahnärztliche Versorgung sollte verbessert und die Honorierung angemessen gestaltet werden. Außerdem forderten die engagierten Zahnärzte ein Ende der Zulassungsbeschränkung – ein zweischneidiges Schwert, denn wenn weitere 8.000 Kollegen aus dem schmalen Kassenbudget finanziert werden müssten, bedeutete dies weitere Abstriche am Honorar. Wieder brachte es Mzyk auf den Punkt: „Ohne freie Zulassung gibt es niemals angemessene Honorare, weil dann immer ein Heer potenzieller Streikbrecher jeden solidarischen Kampf unmöglich macht.“
FVDZ – die dritte Kraft zwischen KZVen und Kammern
Zwischen der offiziellen Standesführung, den Krankenkassen und der NDZ brach der Konflikt offen zutage. Die Geschäftsführung der NDZ hielt Mitgliederlisten geheim, um Neumitglieder vor Repressalien zu schützen. Ins Abseits ließen sich die kämpferischen Zahnärzte jedoch nicht drängen. Schnell erzielten sie Erfolge und besetzten erste Posten in den KZVen. Um deutlich zu machen, dass eine dritte Kraft zwischen KZV und Kammer existiert, benannte sich die NDZ um: Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte entstand und mit
ihm eine dritte standespolitische Säule.
Mit acht Prothesen in die Hauptstadt
Der große Streitpunkt in den ausgehenden 50er-Jahren war die Aufnahme von Zahnersatz als Pflichtleistung der Krankenkassen. Der engagierte Verbandsgründer Mzyk nahm die Sache pragmatisch in die Hand. Genau acht Prothesen packte er damals in sein Köfferchen. In Bonn wollte er mit diesem seltsamen Gepäck die Parteivorsitzenden besuchen, um die Politiker von einer anderen Gesundheitspolitik zu überzeugen. Die künstlichen Gebisse legte er ihnen auf die Schreibtische – als Anschauungsmaterial. Die Herren in der Hauptstadt sollten begreifen, dass nicht die Politik entscheiden kann, was für einen Patienten das Beste ist, sondern der Arzt.
Urteil im Sinne der Freiberuflichkeit
Bestärkt durch die ersten Erfolge des jungen Freien Verbandes legen sich seine Mitglieder Anfang der 60er-Jahre ins Zeug. In greifbare Nähe rückt das Ziel, die Zulassungsbeschränkung aufzuheben. Als das Bundesverfassungsgericht (BVG) im Kassenarzt-Urteil die Entscheidung trifft, dass eine Kassenzulassung nicht mehr von der Bedürfnisprüfung abhängig gemacht werden dürfe, weil dies nicht mit dem Grundsatz der freien Berufswahl vereinbar sei, hat der Freie Verband Oberwasser. Das BVG entscheidet schließlich im Sinne der Freiberuflichkeit: Jeder Zahnarzt hat die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden, ob er eine Kassenzulassung beantragen will oder nicht. Es ist ein Meilenstein
für den Freien Verband. Beflügelt von diesem Erfolg nimmt der Freie Verband, dem seit Ende der 50er-Jahre sein Gründungsvater Mzyk vorsteht, die Honorare der Zahnärzte ins Visier:
Die völlig überalterte Reichsversicherungsordnung (RVO) soll weg. Ein hinzugezogener ehemaliger Verfassungsrichter gelangt zu dem Schluss, dass sich die schlechte wirtschaftliche Lage der Krankenkassen nur dann auf die Honorare auswirken dürfe, wenn sie nicht selbst verschuldet sei, nicht aber weil die Kassen durch niedrige Beiträge zu wenig einnähmen.
Neue Gebührenordnung muss her
Daraufhin wird die Forderung nach einer neuen Gebührenordnung immer lauter. Denn nicht nur die Leistungen sind veraltet, sondern auch die Honorierung.
Die deutsche Zahnärzteschaft beklagt bereits Nachwuchssorgen, weil sich zu den herrschenden Bedingungen kaum jemand für das Studium der Zahnmedizin begeistern kann. 60 bis 70 Stunden Arbeit in der Woche, um gerade mal ein ausreichendes Einkommen zu sichern, waren auch damals für angehende Akademiker keine reizvolle Vorstellung.
Ein erster Schritt zu besserer Honorierung wird mit den neuen Bewertungsmaßstäben (BEMA) 1962 erreicht. Erst 1965 kommt es dann schließlich zu einer neuen Gebührenordnung, deren Inhalte zumindest zum Teil denen entsprechen, die der Freie Verband schon zu seiner Gründung forderte. Für Verbands-Gründungsvater Dr. Wolfgang Mzyk geht zu jener Zeit ein Traum in Erfüllung. Die Erfolge des Freien Verbandes seit seiner Gründung zehn Jahre zuvor beschreibt er mit folgenden Worten: „Die Zulassung ist frei, in der Kassenpraxis wird eine Therapiebreite moderner Zahnheilkunde möglich geworden sein, von der niemand vor neun Jahren auch nur zu träumen gewagt hätte. Mit ihren wirtschaftlichen Lebensbedingungen werden die deutschen Zahnärzte vom Schlusslicht der freien Berufe in eine Spitzenposition gerückt sein! Die Utopie des Traumtänzers ist Realität geworden.“
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Mit Vollkasko auf Kollisionskurs - 1966 bis 1989
Mitte der 1960er-Jahre befindet sich der Freie Verband Deutscher Zahnärzte in voller Blüte. Der große Zulauf neuer Mitglieder gibt der Verbandspolitik Recht. Bis zum Ende der 60er-Jahre sind gut ein Drittel aller Zahnärzte im Verband organisiert. Die Zahnärzteschaft profitiert zunächst von der wirtschaftlichen Sorglosigkeit und der Ausweitung von Sozialleistungen, die während der ersten Großen Koalition herrschen. Die grenzenlose Expansion der Ausgaben lassen die Weitblickenden jedoch bereits mahnend die Finger heben. Letztlich wird bereits Ende der Sechzigerjahre das Dilemma der gesetzlichen Krankenversicherungen späterer Jahre programmiert
Prothetik-Streit entzweit Zahnärzteschaft
Anfang der 1970er-Jahre ist die Zeit des späten Wirtschaftswunders. Im Wohlfahrtsstaat soll möglich sein, was machbar ist – dazu gehört auch die Rundum-Versorgung von Patientinnen und Patienten. Die Politik befürwortet die Aufnahme der zahnärztlichen Prothetik in den Sachleistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Mehrzahl der Zahnärzte ist zunächst dagegen. Die KZBV spricht sich dafür aus. Die Einigkeit der Zahnärzteschaft ist dahin. Der Prothetik-Streit ist in vollem Gange.
Eigenverantwortung vor Vollkasko-Mentalität
Der Freie Verband hebt bereits zu Beginn des Konflikts mahnend seine Stimme: Mit großer Weitsicht plädiert der FVDZ gegen eine „Verstaatlichung der Zahnmedizin“ und will sich auch nicht durch Vorgaben der Politik das Heft der Therapiefreiheit aus der Hand nehmen lassen. Ebenso weitsichtig mahnt der Verband, nicht Prothetik und Sanierung, sondern Prophylaxe und Früherkennung seien das Gebot der Stunde. Eigenverantwortung wird vor Vollkasko-Versorgung gestellt. So heißt es in den Verbandsgrundsätzen: „Die späte Defektbehandlung, die Versorgung mit Zahnersatz sollte nicht ohne Eigenbeteiligung erfolgen; ohne Eigenverantwortung des einzelnen Versicherten ist die Versichertengemeinschaft überfordert.“ Diese Worte muten in Anbetracht des heutigen GKV-Systems geradezu visionär an.
Für viele Zahnärzte bricht in den 70er-Jahren das „Goldene Zeitalter“ an, wirtschaftlich geht es den Zahnärzten so gut wie nie. Die starke Leistungsausweitung der GKV führt zu enormen Einkommenssteigerungen. In dieser Zeit kritisch zu bleiben und nicht nur nach kurzfristigem Profit zu streben, fällt vielen Kollegen schwer. Aufwendige Praxisgründungen sind die Regel, hohes Einkommen eine Selbstverständlichkeit. Die Verlockung des Geldes ist allgegenwärtig. Jeder strebt in die Freiberuflichkeit. Forschung und Lehre an den Universitäten leiden. Dass mit der Aufnahme prothetischer Leistungen in den Leistungskatalog und in die Gebührenordnung eine Einschränkung der Rechte der Zahnärzte einhergeht, für die sie lange gekämpft haben, wollen viele Zahnärzte nicht mehr wahrhaben.
„Wir müssen jetzt ernten, was wir im jahrelangen Kampf erreicht haben.“ Dieser Slogan macht damals die Runde. Mit der Ernte ist aber nicht in erster Linie die Verbesserung der Therapie gemeint, sondern vor allen Dingen die Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Situation. Dass die Zahnärzteschaft mit ihrer Kurzsichtigkeit und Kritiklosigkeit an den ProthetikVerträgen die lang erkämpfte Freiheit der Behandlungsmöglichkeiten und der Vertragsfreiheit quasi aufgeben, wollen viele zu diesem Zeitpunkt nicht verstehen.
Warnungen des FVDZ verpuffen
Für den FVDZ ist es schwierig, sich während des „Prothetik-Booms“ Gehör für Prophylaxe und Selbstverantwortung zu verschaffen. Deutschland ist ein Land unbeschränkter Möglichkeiten staatlicher Vollkaskoversicherung. Wer wollte da die Unkenrufe hören? Die Warnungen des Freien Verbandes verpuffen, der wirtschaftliche Aufschwung allerdings auch. Nur ein knappes Jahr, nachdem die Prothetik-Verträge in Kraft getreten sind, ist die Entwicklung besorgniserregend:
Die GKV befindet sich in einer tiefen Krise. Bereits 1976 macht die „Kostenexplosion“ die Runde. Die Schuldigen sind schnell gefunden: Es sind die Zahnärzte (und Ärzte), die nach der gesetzlichen Ausweitung des Leistungskatalogs in den Medien als „Beutelschneider der Nation“ (STERN) bezeichnet werden.
Eigenbeteiligung als Regulativ gefordert
Der FVDZ bietet ein Rezept gegen die rasante Talfahrt der GKV an: Der Leistungskatalog sollte auf die notwendige Grundversorgung eingegrenzt werden. Die Eigenverantwortung der Patienten und die Prophylaxe solle gestärkt und nicht alles Wünschenswerte und Machbare von der Solidargemeinschaft bezahlt werden. Eigenbeteiligung der Patienten sei ein gesundes regulativ. Ansonsten, so warnt der FVDZ, werde das System unfinanzierbar. Nur zwei Jahre nach den Prothetik-Verträgen geschieht, was der Freie Verband prognostiziert hat. Das erste Kostendämpfungsgesetz dämpft nicht nur die Kosten, sondern viele Zahnärzte in ihrem Elan. Der vom Freien Verband vielbeklagte „Krankenkassenstaat“ zeichnet
sich bereits ab. Er wird zum „kranken Kassenstaat“. Doch der FVDZ gibt sich kämpferisch gegen eine „Vergesellschaftung des Kassenarztrechts“. Der Weg des Freien Verbandes ist klar und überzeugend: Prophylaxe statt Prothese wird aufs Neue propagiert. Die Politik sperrt sich jedoch weiterhin, die Vorsorge in den Leistungskatalog aufzunehmen.
Allmählich gerät allerdings die Zahnärzteschaft wieder in Bewegung. Die nach oben offenen Verdienstmöglichkeiten haben sich relativiert, es herrscht wieder mehr Klarsichtigkeit. Der FVDZ findet immer mehr Anhänger. Ende der 70er-Jahre ist bereits fast die Hälfte aller Zahnärzte im Verband organisiert
Krankenkassen-Desaster der 1980er-Jahre
Für alle, die sich in sicherer Umarmung des Wohlfahrtsstaates wähnen, gibt es in den 1980er-Jahren ein böses Erwachen. Den Freien Verband trifft das einsetzende Krankenkassen-Desaster nicht aus heiterem Himmel, denn der vorausschauende FVDZ hatte früh genug vor kostspieliger staatlicher Rundum-Versorgung gewarnt. Die 80er-Jahre läutet der Verband mit einem Thesenkatalog ein, der sich mit dem Slogan „Freiheit für Verantwortung“ umschreiben lässt. Eigenverantwortung, Frühbehandlung, Prophylaxe und Bürokratieabbau stehen auf dem Verbandszettel. Vielleicht zu früh – Gesundheitspolitik ist zu diesem Zeitpunkt noch auf einem anderen Pfad. Die Hoffnungen auf eine grundlegende Systemreform
erfüllt auch die neue CDU-geführte Regierung nicht. Auch wenn Ärzte und Zahnärzte noch so deutlich machen, dass nur eine Abkehr vom Sachleistungssystem aus dem Dilemma der GKV führen kann, gibt es vonseiten der Politik keine Zeichen des Entgegenkommens. Stattdessen jagt ein Kostendämpfungsgesetz das nächste.
Explosive Stimmung bei den Zahnärzten
„Die Signale stehen auf Sturm“ stellt 1984 der damalige FVDZ-Vorsitzende Julius Herrmann fest. Statt den Vorschlägen der Zahnärzte zu folgen, die für mehr Eigenverantwortung eintreten, stellen die Kassen die Einzelleistungsvergütung infrage. Bereits ein Jahr später dräut das nächste Kostendämpfungsgesetz. Die Politik nimmt sinkende Qualitätsstandards billigend in Kauf, erwartet jedoch von der Zahnärzteschaft die gleiche Leistung für weniger Honorar. In der Zahnärzteschaft baut sich eine hochexplosive Stimmung auf,
die sich vor allem auch gegen das mangelnde Verhandlungsgeschick der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) mit den Krankenkassen richtet. Erstmals wird darüber nachgedacht, die Kassenzulassung zurückzugeben, wenn die freie Ausübung der Zahnheilkunde nicht mehr möglich sei. Der Freie Verband spricht von „verweigerter Reform“ und einem „Irrweg der GKV“.
Die mächtigen Kassen schieben Ärzten und Zahnärzten den Schwarzen Peter zu: „Kostentreiber im Gesundheitswesen.“ An der grundlegenden, systembedingten Problematik der Kostenexplosion ändert sich nichts. Der Freie Verband wirbt für sein Konzept der Vertrags- und Wahlleistungen, um die Ausgaben im Gesundheitssystem im Rahmen zu halten. Der damalige FVDZ-Vorsitzende Dr. Hans-Henning Bieg bezeichnet diese Politik als „Straße der Unehrlichkeit“. Das Gesundheitswesen werde nicht von seinen Leistungsträgern, den Ärzten und Zahnärzten ruiniert, sondern von Politikern und Bürokraten, so Bieg. „Wer alle Leistungen zum Nulltarif verspricht, wer die Kostenmitverantwortung des Patienten verpönt, muss auch jedes Gesundheitswesen zerstören, denn er organisiert Verantwortungslosigkeit.“
Zahnärzte müssen sich in dieser Zeit trotz aller Prophylaxe-Bemühungen absurde Vorwürfe anhören: Anstatt zu behandeln, zögen sie lieber Zähne, um möglichst viele Prothesen machen zu können. Allein mit Sachargumenten zu kämpfen, erweist sich letztlich als unzureichende Gegenwehr. In bisher ungekannter Einigkeit machen die Zahnärzte gegen die ungerechtfertigten Behauptungen Front. 1987 folgt ein bundesweiter Streiktag, zu dem der Freie Verband, die KZBV und der Bund Deutscher Zahnärzte aufgerufen haben. Trotz
aller Proteste wird noch vor der Sommerpause eine neue Gebührenordnung verabschiedet, bei der die grundsätzlichen Einwände der zahnärztlichen Organisatoren unberücksichtigt bleiben.
Teilerfolg: GKV zahlt Prophylaxe
Von Reförmchen zu Reförmchen hangelt sich die Bundesregierung. Auch die neue Reform sieht hauptsächlich Kostendämpfung vor. Ende der 80er-Jahre schließlich verzeichnet der Freie Verband einen ersten Teilsieg: Die Individualprophylaxe wird in die GKV aufgenommen und die Kostenerstattung für Zahnersatz und Kieferorthopädie (wieder) eingeführt. Genau dieses lang ersehnte Ziel des FVDZ jedoch stößt nicht auf allgemeine Gegenliebe. Am Streit zwischen Direkt- und KZV-Abrechnern droht die vielbeschworene Einigkeit der Zahnärzteschaft zu zerbrechen. Während sich die gesundheitspolitische Planwirtschaft in der Bundesrepublik immer fester zementiert, beginnt in der DDR selbige zu bröckeln.
Der UDZ – ein Wimpernschlag der Geschichte
Rund 12.000 Zahnärztinnen und Zahnärzte gab es Ende 1989 in der DDR. Die meisten von ihnen arbeiteten in staatlichen Polikliniken, die damals die Gesundheitsversorgung sicherstellten. Sie alle setzten große Hoffnung in eine freie Zahnmedizin, die das macht, was möglich ist. Und so formte sich in der Zeit des politischen Umbruchs in der DDR rasch der Wunsch nach leistungsorientierter Bezahlung und freier Berufsausübung – in Form einer freiberuflichen Niederlassung wie sie in der Bundesrepublik selbstverständlich war.
Es waren sechs Zahnärzte aus Taucha und Leipzig, die eine berufsständische Vertretung gründen wollten. Sie tauschten ihre Ideen für ein neues zahnärztliches Gesundheitssystem aus. Schnell war klar: Die Zahnärzte brauchen eine Vertretung, die sich für ihre Belange einsetzt, denn zu diesem Zeitpunkt gab es als Standesvertretung weder die Kammern noch andere Verbände. Dass die Selbstständigkeit das Maß der Dinge war, war ebenfalls klar. Die kleine Truppe rührte die Werbetrommel für ein Gründungstreff en des Unabhängigen Deutschen Zahnärzteverbands (UDZ) – meist über private Kanäle, denn andere Strukturen waren in Auflösung begriffen und E-Mails oder Social Media noch in weiter Ferne.
Schlag auf Schlag zum Berufsverband
Es war ein großer Zufall, dass einer der UDZ-Gründer einen Bruder hatte, der in Düsseldorf als Zahnarzt niedergelassen war. Er stellte den Kontakt zum Freien Verband Deutscher Zahnärzte her. Zum ersten Diskussionsabend im Januar 1990 hatte sich der damalige Bundesvorsitzende Hans-Henning Bieg angekündigt. Das Interesse an einer unabhängigen Standesvertretung war hoch und sprengte alle Vorstellungen: 276 Kollegen aus allen Teilen der DDR reisten an und FVDZ-Chef Bieg bot Hilfe zur Selbsthilfe an. Eine knappe Woche später startete Zahnarzt Dr. Peter Kind mit seinem Trabi zur Bonner FVDZ-Geschäftsstelle: Dort standen ein Fax-Gerät, Papier, Büro-Utensilien, eine Schreibmaschine und andere nützliche Dinge bereit, die den Ostzahnärzten die Verbandsarbeit erleichtern sollten.
Im März 1990 gründete sich der UDZ formell. Aus den knapp 300 Interessenten wurden in Nullkommanichts 3.000 Mitglieder. Der FVDZ stand dem jungen Verband hilfreich zur Seite – nicht nur materiell, sondern auch mit viel Erfahrung. Vor allem die Idee, als reine Privatzahnärzte zu arbeiten – ohne Körperschaften, ohne Krankenkassen und ohne staatliche Reglementierung, legten die ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen schnell ad acta. Der FVDZ warnte in der Zeit des Umbruchs zudem vor obskuren Geschäftemachern und bot konkrete Hilfe zu Praxisgründung, Praxisformen, Einrichtung und allem an, was den Weg der ostdeutschen Kollegen in die Freiberuflichkeit ebnen
konnte. Es gab Praxispatenschaften und viele persönliche Besuche, durch die die Bande enger wurde.
Vereinigung zur Einheit
Die Verhandlungen zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion liefen bereits. Die Deutsche Einheit rückte in greifb are Nähe. Und auch der UDZ wuchs weiter –
kein Wunder, denn vom Ziel einer leistungsgerechten Vergütung waren die Zahnärzte im Osten der Republik noch weit entfernt. Zwar wurde im Einigungsvertrag, „die Förderung freier Praxen“ propagiert, jedoch sollte die Vergütung medizinischer Leistungen nur 45 Prozent des bundesdeutschen Honorars betragen. Gegen diese Ungerechtigkeit gingen die Zahnärzte im September 1990 auf die Straße. Die Polikliniken standen vor dem Bankrott, aber eine Niederlassung war aus finanziellen Gründen ebenfalls unrealistisch geworden.
Wieder zogen die Zahnärzte in den Kampf. Die Parallelen zur Gründung des FVDZ Mitte der 1950er-Jahre waren überdeutlich: Es ging um die pure Existenz.
Nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 schlossen sich auch die beiden zahnärztlichen Berufsverbände UDZ und FVDZ zum Jahreswechsel zusammen. Der UDZ blieb nur ein Wimpernschlag der Geschichte.
Sackgasse Reformpolitik – 1990 bis 2015
In einem Punkt sind sich die ostdeutschen Zahnärzte und ihre Kollegen im Westen einig: Mit Planwirtschaft haben sie nichts am Hut. Gemeinsam kämpfen Ost und
West künftig gegen das marode Gesundheitssystem und die Reformunwilligkeit der politisch Verantwortlichen. Es geht nicht mehr nur allein um die Durchsetzung der ureigenen Interessen, die seit Jahren gehegt werden, sondern auch um die Erwartung von 6.000 Kollegen aus dem Osten der Republik, die vor allem darin liegt, für alle Zahnärzte in Deutschland
gleiche Arbeitsbedingungen zu schaff en. Die Einigkeit der Zahnärzteschaft, die noch Mitte der 80er-Jahre herrschte, ist Anfang des neuen Jahrzehnts weitgehend aufgehoben. Unversöhnlich stehen sich die Sachleistungsbefürworter und die Sachleistungsgegner gegenüber. Ein Streit, der auch im Verband zur Belastungsprobe wird. In einer Grundsatzentscheidung entschließt sich der Verband zu einem Ausstieg aus der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der „Korb“ als letztes Kampfmittel
Hoffnung auf eine Liberalisierung des Systems setzen die Zahnärzte in Horst Seehofer (CSU) als Bundesgesundheitsminister. Doch Seehofer tritt auf die Kostenbremse, um insgesamt elf Milliarden Mark im Gesundheitswesen einzusparen. Eine Milliarde davon muss die Zahnärzteschaft schultern. Die Zahnärzte ziehen in den Kampf gegen das „Gesundheitsstrukturgesetz“ und greifen zu einem der massivsten Druckmittel: die Rückgabe der Kassenzulassung. Um die Risiken für den einzelnen Zahnarzt in überschaubaren Grenzen zu halten, wird der „Korb“ vorbereitet. In einem notariellen Verfahren hinterlegt der Zahnarzt die Rückgabe seiner Kassenzulassung. Ist regional eine bestimmte Prozentzahl von Zulassungsrückgaben im „Korb“, können die Teilnehmer abstimmen, ob sie gemeinschaftlich ihre Kassenzulassung zurückgeben wollen.
Keine Luxussanierung auf Kassenkosten
Die Politik begegnet den „Aufständischen“ mit Drohungen, Kassenentzugsverfahren und Aufsichtsanordnungen, um sie zu deckeln. Das Gesetz wird trotz aller Proteste Realität. Im Herbst 1994 machen die Zahnärzte erstmals Ernst mit ihren Drohungen. Zwar geben sie keine Kassenzulassung zurück, sie machen jedoch deutlich, dass niemand unbegrenzte Leistung für begrenzte Mittel verlangen kann. Als das Budget ausgeschöpft ist, verschieben sie nicht dringend notwendige Behandlungen auf das nächste Jahr. Politik und Medien reden von „Behandlungsboykott“, von „riesiger Schweinerei“. Der FVDZ bleibt jedoch bei seiner Haltung: Nicht alles medizinisch Machbare kann von den Beitragszahlern solidarisch finanziert werden. Der Patient soll als Einzelner in die Pflicht genommen werden. Voraussetzung dafür ist die Vertragsfreiheit zwischen Zahnarzt und Patient.
Reform-Bummelzug steuert aufs Abstellgleis
Dies könnte Wirklichkeit werden, als die CDU-geführte Koalition endlich plant, Festzuschüsse beim Zahnersatz einzuführen. Drei Schlagworte sollen die Versorgung kennzeichnen: notwendig, ausreichend und wirtschaftlich. Wer mehr will, muss in die eigene Tasche greifen. Für den FVDZ scheint der Reformzug endlich auf dem richtigen Gleis angekommen zu sein. Doch wieder ist ein Reform-Bummelzug unterwegs, der es nicht schafft, bis zur nächsten Wahl im Jahr 1998 im richtigen Bahnhof anzukommen. Rot-Grün erhält bundesweit eine
Mehrheit und kippt die geplante Reform.
6.000 neue Verordnungen – kein großer Wurf
Das Vor und Zurück der Politik der 90er-Jahre hat Spuren hinterlassen – und eine gewisse Desillusionierung. Der große Wurf war bei allen Reformversuchen nicht dabei, obwohl klar ist, dass es keine unendlichen Leistungen bei endlichem Budget geben kann. Rund 6.000 Verordnungen wurden innerhalb von 25 Jahren erlassen, um das GKV-Desaster in den Griff zu bekommen, doch mit keiner der „Jahrhundertreformen“ gelang einer Regierung der große Wurf. Der FVDZ geht mit großen Zielen ins neue Jahrtausend und fordert eine komplette Neuorientierung anstelle eines staatlichen Dirigismus. Unvermindert warnt der Freie Verband vor dem Kollaps der Kassen und plädiert für ein Modell aus Kern und Wahlleistungen. Der Verband wirbt für ein System, das die Eigenverantwortung der Patienten und den Wettbewerb der Zahnärzte fördert. Ziel ist es, den Zahnarzt als freie Unternehmerpersönlichkeit zu etablieren.
Geradezu uferlos erscheint die entbrennende Diskussion der Parteien über die Einführung der „Kopfpauschale“. Ein Gipfel wird für den FVDZ durch die Reform mit dem sperrigen Namen „Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz erreicht“. Das 2004 in Kraft getretene GMG weist zwar in Teilen in die richtige Richtung, wie etwa bei der Ausgliederung des Zahnersatzes aus der GKV, bleibt aber in großen Teilen weit von Verbandszielen entfernt. Der damalige FVDZ-Bundesvorsitzende Dr. Wilfried Beckmann bezeichnet das Gesetz als „Schmerzmittel für Politiker, aber kein Therapeutikum“. Ziel des FVDZ bleibt es, die Zahnmedizin aus dem GKV-Katalog auszugliedern und die Eigenverantwortung des Patienten zu stärken.
Die FVDZ-Hauptversammlung beschließt, dass der Freie Verband als „uneingeschränkte und unabhängige Interessenvertretung der freiberuflichen Zahnärzte handeln“ soll. Aus dem einstigen Kampfverband wird eine umfassende Interessenvertretung, die nicht mehr auf (rechtlich schwierig zu vertretenden) Streik und Widerstand setzt, sondern auf den direkten Dialog mit der Politik. Diese „Neuen Wege“, auf die der damalige FVDZ-Bundesvorsitzende Beckmann den Verband führen will, die Ausgliederung der Zahnmedizin aus
dem GKV-Prinzip, sind nicht ganz neu. Bereits in den Gründerzeiten des FVDZ gab es Strömungen, die das Ausscheren der Zahnmedizin aus der Krankenversicherung propagierten. Neu allerdings ist die jetzt gesetzte Zielmarke: Der Zahnarzt als privatwirtschaftlicher Partner der Patienten – vom Vertragszahnarzt zum echten Freiberufler.
Diese Maximalforderung, das „Raus aus der Kasse“, goutieren allerdings nicht alle FVDZ-Mitglieder. Zumindest nicht in dieser Radikalität. Die beschrittenen „Neuen Wege“ kommen mit der Hauptversammlung 2005 zu einem recht jähen Ende. Zwar bleiben viele Forderungen und auch ein Gutteil der politischen Kritik bestehen, aber das radikale Ende der vertragszahnärztlichen Tätigkeit wird nicht weiter vorangetrieben – einen zweiten Korb für den „Korb“ will sich die damals neue Führungsriege des FVDZ nicht einholen.
Beengende politische Einflussnahme
Die Einflussnahme der Gesundheitspolitik und die Bevormundung der Zahnärzteschaft werden zunehmend als beengend empfunden. Bürokratieabbau, eine angemessene Honorierung und auch die Abschaffung der Zwangspensionierung mit 68 Jahren stehen erneut auf der Agenda. Neben den ökonomisch wichtigen
Weichenstellungen nimmt eine demografische Entwicklung ihren Lauf: Immer mehr Frauen ergreifen den Beruf – mit anderen Bedürfnissen und neuen Anforderungen. Diese Herausforderung nimmt der FVDZ an: In einem eigenen Netzwerk für Frauen organisieren sich Zahnärztinnen für ihre Interessen.
Und auch gegen die neue Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) mobilisiert der FVDZ große Proteste. Die erste Novelle 2009 kann gestoppt werden, weil sie für die Zahnärzte keinerlei Verbesserungen, sondern eher einen Rückschritt bedeutet hätte. Dem zweiten GOZ Reformentwurf kann sich der FVDZ nicht mehr erfolgreich entgegenstemmen – eine Verfassungsbeschwerde wird nicht angenommen. Dass der FVDZ jedoch gegen die „neue“ GOZ ist, macht er sehr deutlich: Fast 20.000 Unterschriften bringt der Bundesvorstand 2011
höchstpersönlich ins Gesundheitsministerium. Zumindest ein Zeichen des Protestes wird damit gesetzt, auch wenn sich die Novelle nicht mehr abwenden lässt.
Eigenes Modell für Zahnmedizin
Ein heftiger Streit entbrennt auch um die politisch forcierten Modelle zwischen der von SPD und Grünen favorisierten Bürgerversicherung und der von CDU und FDP ausgedachten Gesundheitsprämie („Kopfpauschale“). Letztere sieht einen einkommensunabhängigen Umbau der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vor, während die Bürgerversicherung darauf baut, das duale System zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung abzuschaffen und alle Bürger mit allen Einkommen (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) in einer einheitlichen gesetzlichen Krankenkasse zu versichern.
Im FVDZ ist die Bürgerversicherung ein rotes Tuch:
Eine Einheitsversicherung ist für den Verband ein weiterer Schritt zu einem verstaatlichten Gesundheitssystem – und damit ein Rückschritt in die Steinzeit der Freiberuflichkeit. In dieser Gemengelage entwickelt der Verband ein ganz eigenes System zur Umstellung der Finanzierung der Krankenversicherung – weg vom sogenannten solidarischen Umlagesystem hin zu einem stärker privatrechtlich organisierten Prämiensystem. Es schafft die Grundlage für eine Ausgliederung der Zahnmedizin aus der gesetzlichen Krankenversicherung.
Doch dafür ist die Zeit offenbar noch nicht reif.
Neue Gegner, alte Kämpfe: Freiheit bleibt Agenda – 2015 bis 2025
Die gerade zurückliegende Dekade von 2015 bis 2025 beginnt mit einem Interview eines der Gründer des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte. Dr. Wolfgang Mzyk, 91-jährig, schreibt dem FVDZ noch einmal ins Stammbuch, wofür er gelebt hat: die freie Berufsausübung, die Therapiefreiheit, die Freiheit der Niederlassung. Mzyk berichtet in diesem Interview von den Nöten der Zahnärzte 1955, weil es keine Kassenzulassungen gab. Er erzählt, wie Zahnärzte damals auf die Straße gingen und was die „Seele zum Kochen brachte“.
Über Zulassungsbeschränkungen wird auch heute wieder geredet, auch über Zementfüllungen, die schon 1895 in der Reichsversicherungsordnung standen. Überhaupt ist die Zahnärzteschaft 70 Jahre nach der Gründung des Freien Verbandes wieder an einem Punkt, der 1955 ähnelt: Es gibt Protestaktionen im ganzen Land – gegen unzureichende Honorierung damals, gegen strikte Budgetierung heute. Damals gingen die Zahnärzte für bessere Rahmenbedingungen auf die Straße – heute gegen Kostenexplosion in den Praxen,
gegen Fachkräftemangel, gegen erdrückende Bürokratisierung. Damals wendeten sie sich gegen die Beschränkung der Kassenzulassungen, heute gegen die fehlende Reglementierung von investorengetragenen MVZ (iMVZ).
So existenziell das Problem der Beschränkung von Kassenzulassungen 1955 war, so existenziell sind die Schwierigkeiten auch heute. Sie sind sogar so groß, dass die Zahnärztinnen und Zahnärzte heute davor zurückschrecken, freiberuflich, selbstständig und in der eigenen Niederlassung zu arbeiten – obwohl es (noch) keine Zulassungsbeschränkungen oder gar
Bedarfszulassung gibt, die ja einst durch den Einsatz des FVDZ im zahnärztlichen Bereich überhaupt erst abgeschafft wurde.
Ein Wort schafft große Probleme
Eines der Hauptprobleme für die freie Zahnärzteschaft beginnt mit einem Gesetz 2015, in dem ein kleines Wort große Wirkung hat und für eine Revolution im deutschen Gesundheitswesen sorgt. Mit dem GKV Versorgungsstärkungsgesetz wurde die Möglichkeit geschaffen, arztgruppengleiche medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen. „Arztgruppengleich“ räumt die Möglichkeit ein, Zahnarztpraxen als MVZ-Struktur zu gründen und unbegrenzt viele Zahnärztinnen und Zahnärzte einzustellen. Durch die Gründungsbefugnis für Kommunen und Krankenhäuser wurde die Tür für Investoren geöffnet, über den Kauf kleiner Kliniken und der damit verbundenen Gründungsmöglichkeit, zahnärztliche MVZ und ganze MVZ-Ketten zu etablieren: iMVZ erobern innerhalb weniger Jahre alle größeren Städte und lukrativen Standorte in Ballungsgebieten. Wie Staubsauger ziehen diese MVZ junge Zahnärztinnen und Zahnärzte an, bieten Anstellungsverträge und Karriereaussichten – ohne das Risiko der Selbstständigkeit. In gleichem Maße, wie große Praxisstrukturen in den Städten wachsen, wächst die Zahl angestellter Zahnärztinnen und Zahnärzte und sinkt der Wille zur eigenen Niederlassung.
Der FVDZ setzt sich von Beginn an für eine Regulierung dieser MVZ ein und versucht, eine Reglementierung der Gründungsbefugnis zu erreichen, Seite an Seite mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Bundeszahnärztekammer. Trotz vollmundiger politischer Versprechen ist allerdings bis auf eine minimale gesetzliche Änderung
nichts von einer Regulierung der Investoren zu spüren.
Neben der geringeren Lust der jüngeren Zahnärztinnen und Zahnärzte auf Niederlassung ob der Möglichkeit, angestellt zu arbeiten, kommt hinzu, dass es kaum mehr Zahnärzte aufs Land zieht. Und so hat in den vergangenen acht Jahren ein Trend eingesetzt, der die flächendeckende, wohnortnahe zahnärztliche Versorgung gefährdet. Da ältere – meist niedergelassene – Zahnärzte die Versorgung verlassen und jüngere – meist angestellte Zahnärzte – überwiegend in großen Städten tätig sind, verändert sich die Versorgungslandschaft drastisch. Es bleibt eines der Hauptanliegen des FVDZ, jüngere Zahnärztinnen und Zahnärzte für die Niederlassung zu begeistern und notwendige Starthilfen zu ermöglichen.
Nachwuchsförderung als Kernaufgabe
Angesichts der demografischen Veränderungen und der zunehmenden Zentralisierung setzt der FVDZ konsequent auf Nachwuchsförderung: Über die Gründung des Studierendenparlaments werden Zahnmedizinstudierende in den Verband geholt. Ihre Ideen werden gehört, sie können in den Gremien mitarbeiten – und vor allem standespolitisch viel lernen. Der Freie Verband hat für seine jüngeren Mitglieder das Existenzgründerprogramm etabliert, das sich an Mitglieder richtet, die in den kommenden Jahren gründen wollen
oder gerade gegründet haben. Auch hier geht es darum, Starthilfe zu bieten, zu beraten, Mut zur Selbstständigkeit zu machen. Das modular aufgebaute Programm wird bei den
Gründungswilligen hochgeschätzt, denn es vermittelt Wissen zu Praxisgründung, Management, rechtlichen Fragen, Abrechnung und Patientenkommunikation. Damit will der
Verband die unternehmerische Kompetenz der jungen Generation stärken und die Kontinuität der niedergelassenen Praxis sichern.
Honorierung und GOZ – dicke Bretter bohren
Das Thema Honorierung blieb auch in der jüngsten Verbandsdekade ein zentrales Anliegen. Nicht nur die GKV, auch privat erbrachte Leistungen über die Gebührenordnung für
Zahnärzte (GOZ) standen im Fokus. Der FVDZ kämpfte für faire Vergütung, entwickelte praxisnahe Abrechnungsmodelle. Trotz politischen Verzögerungen zeigte der Verband, dass er bereit ist, „dicke Bretter zu bohren“.
Belastungen durch Pandemie
Die Dekade war nicht nur von strukturellen Herausforderungen geprägt. Die Coronapandemie stellte die Zahnärzteschaft vor enorme Belastungen, die teils existenzgefährdend
waren: Es ging um Praxisschließungen, staatliche Überbrückungsgelder, Hygienekonzepte und Schutzvorgaben, die in der Realität kaum umzusetzen waren. Der FVDZ setzte
sich konsequent dafür ein, dass auch Zahnarztpraxen unter den staatlich aufgelegten „Schutzschirm“ fielen und legte selbst – mithilfe der Deutschen Zahnärzte-Genossenschaft –
Programme für die Praxen auf. Der FVDZ bot umfassende Beratung, Liquiditätssprechstunden und praxisnahe Informationen an. Es zeigte sich die Stärke eines aktiven Berufsverbandes: Schnelle Informationsweitergabe und gegen seitige Unterstützung sind entscheidend, um Krisen zu bewältigen.
Gerade aus der Pandemie gekommen, in der die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen durch die Patientinnen und Patienten eingebrochen war und sich erst langsam erholte, fiel der Regierungswechsel und mit ihm kam das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das die Zahnarztpraxen hart traf. Denn glaubte man in der Zahnärzteschaft, dass es gerade durch die Einführung der neuen PAR-Richtlinie in den gesetzlichen Leistungskatalog zu einer ökonomischen Stabilisierung der Praxen kommen könnte, trat mit dem Gesetz das Gegenteil ein. Es war die Rückkehr zur Budgetierung – mit beträchtlichen Auswirkungen.
Gemeinsam gegen strikte Budgetierung
Not schafft Einigkeit – auch diesmal. Auf unterschiedlichen Wegen, aber mit gemeinsamem Ziel warben FVDZ und KZBV für den Erhalt der präventionsorientierten Parodontitisstrecke und setzten sich gegen eine Fortführung strikter Budgetierung ein. Von Erfolg war dies in keiner Hinsicht gekrönt. Der in den Jahren der Ampel (2021–2025) regierende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hielt zwar viel von Versprechen, aber wenig von Gesprächen. Die politische Einflussnahme war mehr als begrenzt. Seither gibt es
wieder bessere Kontakte in die Bundespolitik. Doch die gesundheitspolitische Lage – besonders die der GKV – ist verfahren: Immer größer wird das Delta zwischen Einnahmen und Ausgaben. Große Reformen, die grundsätzliche Veränderungen in die Ausgabenpolitik bringen, sind nicht in Sicht – obschon die Schieflage omnipräsent ist. Deshalb steht zu vermuten, dass es am Ende doch wieder ein Klein-Klein der Kostendämpfungspolitik sein wird, das auch die Zahnärzteschaft mit Sparmaßnahmen betreffen wird.
Wieder mal: Raus aus der GKV?
Schon mit dem Regierungswechsel zur Ampel und der zentralistischen Politik Lauterbachs kamen erneut Ideen zu einem Ausstieg des zahnärztlichen Bereichs aus der GKV im FVDZ auf. Das Prämienmodell, für das die Zeit in den Zehnerjahren noch nicht reif war, wird noch einmal auf Tragfähigkeit geprüft. Am Ende fehlt verbandsintern die Zustimmung. Ein Ausstieg aus der GKV ist in volatilen Zeiten mit großen welt- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen kein realistisches Szenario. Im Kern aber bleibt die Forderung des FVDZ
die nach mehr Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten im System. Denn die Erfahrung der vergangenen 70 Jahre lehrt, dass sich Prävention und Verantwortung für die eigene Gesundheit auszahlen. Und den Zahnärztinnen und Zahnärzten hilft es, die beste Therapieentscheidung mit dem Patienten gemeinsam zu treffen.
Not schafft Einigkeit – so sollte es sein
Das gesamte Gesundheitssystem mit seinen etablierten Strukturen ist durch Demografie, Kostenexplosion, Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie, Digitalisierung ins Wanken geraten. Und es sind relativ hilflos wirkende politische Reformen, die keine Antwort auf die Herausforderungen einer Gesellschaft im Wandel bieten. Wieder bräuchte es viel Solidarität und Zusammenhalt im Berufsstand, um den Herausforderungen, aber auch der Politik die Stirn zu bieten. Aber die Zeiten haben sich gewandelt, wir leben nicht mehr in den 50er-Jahren, als Verbandsgründer Mzyk Politikern seine Prothesen auf den Tisch knallen konnte. Not schafft Einigkeit – aber heute soll es ein bisschen
schneller gehen mit den Erfolgen. Wenn der politische Erfolg nicht unmittelbar spürbar ist, fehlt vielen Wille, Geduld und Engagement, sich einem Verband anzuschließen, der gemeinsame Interessen vertritt. Da geht es einem zahnärztlichen Interessenverband genauso wie den Gewerkschaften, Parteien oder der Kirche. Die Welt ist komplexer geworden.
Zudem gibt es mehr und mehr Partikularinteressen, die es schwierig machen, als Gemeinschaft zu agieren.
Und so schließt sich der Kreis mit den Worten von FVDZ-Gründervater Mzyk in seinem letzten Interview vor zehn Jahren: „Die politischen Voraussetzungen kann der einzelne allein nicht für sich erkämpfen und verteidigen. Er muss sich mit Gleichgesinnten zusammentun. Deshalb ist der FVDZ so wichtig. Wenn wir den Freien Verband nicht schon gegründet hätten, heute noch müssten wir es tun. Denn wenn es keine Freiberuflichkeit mehr gibt, dann wird die Freiheit in der Gesellschaft erlöschen.“